Es regnet in Strömen, als wir mit unseren 2 Autos vor dem grauen Eisentor unserer Unterkunft in Ljubljana vorfahren. Hektisch rennen uns unbekannte Menschen umher um das Tor vor uns aufzuschließen. Ein komplett durchnässter Typ stellt sich uns als Rasko vor. Wir fahren in einen dunklen Innenhof und laufen durch das Gewitter in eines der umliegenden Gebäude.
Drinnen werden wir von weiteren Student*innen empfangen und finden uns in einer Küche wieder, in der Geflüchtete für sich und andere Essen organisieren. Sofort werden wir eingeladen, einen Geburtstag mitzufeiern. Nach 14 Stunden Autofahrt von Berlin nach Ljubljana sitzen wir also erschöpft auf einem Teppich mitten in einer stimmungsvollen Party, jeder von uns mit einem Becher Wein bedient.
Später werden wir in einen großen Saal geführt, der sonst als Versammlungsraum und Bibliothek dient und in dem wir unser gemütliches Lager aufbauen können. Alles in allem ein herzlicher und großzügiger Empfang, der uns einen guten ersten Eindruck von diesem tollen Ort gibt.
Das ROG ist eine ehemalige Fahrradfabrik, die vor 10 Jahren von linken Aktivist*innen besetzt worden ist. Innerhalb der letzten Jahre hat sich daraus ein linkes politisches Zentrum entwickelt, das vielen Menschen Raum für eigene Projekte gibt. Neben der Küche, die von Geflüchteten betrieben wird, gibt es eine Konzerthalle, einen Skatepark auf mehreren Etagen, eine kleine Bar, Werkstätten, Arbeits- und Schlafräume. Bis zu 20 unterschiedliche Gruppen nutzen diesen Ort im Zentrum Ljubljanas für ihr Engagement.
Bei Tageslicht erkennen wir dann die liebevolle Gestaltung des Geländes. Der Innenhof ist mit gemütlichen Sitzecken ausgestattet, die z.B. aus Brettern, Autoreifen und Snowboards zusammengeschustert worden sind. Überall stehen Kunstwerke, Installationen und Statuen, das gesamte Gelände ist bestückt mit Gemüsebeeten, in denen Tomaten, Zucchini, Auberginen und Kürbisse wachsen. Die Gebäude sind stark verfallen, jedoch von außen bunt bemalt. Über allem thront das Haupthaus der Fabrik an dessen Wand bunte Musikinstrumente gesprayt worden sind, die eine riesige Pistole formen. Darüber steht in großen Buchstaben ROG – abgeleitet von „Kocevski Rog“, dem Hauptquartier der Partisan*innen. Während des Zweiten Weltkrieges nutzten sie dort einen versteckten Ort als Druckerei, um dezentral ihre Nachrichten im Westen Sloweniens zu verbreiten. Nach Ende des Krieges brachte man die Druckerpressen in genau diese Fahrradfabrik. Geblieben ist nur der Name ROG.
An diesem Wochenende findet hier ein Zirkusfestival statt: Gruppen aus England, Frankreich, Deutschland und Slowenien sowie viele weitere Gäste sind dazu angereist. Diejenigen, die keinen Schlafplatz in ihren bemalten Zirkusbussen im Innenhof finden, dürfen in den alten Fabrikhallen übernachten. Während dieser Zeit ist das gesamte Gelände voll von Artist*innen, die im strahlenden Sonnenschein ihre Tricks proben und sich in Form von Workshops austauschen. Nach dem gemeinsamen Abendessen, versammeln sich alle zu einer magischen Zirkusshow, die auch viele Bewohner*innen aus Ljubljana anzieht. Dies ist ein Beispiel dafür, wie das ROG jungen Menschen einen Ort bietet, an dem sie zusammen frei und kreativ sein und Kulturveranstaltungen wie diese auf die Beine stellen können.
Anfang diesen Jahres versuchte die Regierung durch einen Polizeieinsatz u.a. mit Bulldozern das ROG zu räumen. Innerhalb kürzester Zeit formierte sich ein großer Protest. Menschen aus allen Regionen Sloweniens kamen um das Bestehen des Projekts zu unterstützen. Mithilfe von Straßenbarrikaden konnten sie das Gelände 2 Wochen lang vor dem Übergriff der Polizei und privaten Sicherheitsfirmen bewahren. In Folge dessen laufen zur Zeit einige Gerichtsverfahren, in denen den Aktivist*innen Geldstrafen von bis zu 200.000€ drohen. Rasko, ein Architekturstudent, der seine Abschlussarbeit über das ROG schreibt, berichtet uns über Pläne der Regierung, das Gelände an Hotelinvestor*innen zu verkaufen.
Das ROG bietet uns die einzigartige Möglichkeit, uns mit Student*innen, anderen Einheimischen, Geflüchteten und sogar einer ehemaligen Landespolitikerin auszutauschen, uns mit lokalen Studigruppen zu vernetzen und viel über die Geschichte und politische Entwicklung hier zu erfahren.
Je Länger wir uns hier aufhalten, desto mehr Einblick bekommen wir auch in die Schwierigkeiten und Widersprüchlichkeiten der Organisation des ROG. Vor allem die Frage nach Entscheidungsstrukturen, Übernahme von Verantwortung, Offenheit nach Außen und der Entwicklung von demokratischen Strukturen ist für uns von besonderem Interesse.
So kommen Beispielsweise jedes Jahr mehr Tourist*innen, die das ROG als günstigen Schlafplatz nutzen wollen ohne sich über das besondere Zusammenleben bewusst zu sein. Teilweise sind diese nicht an Interaktionen mit den Leuten vor Ort interessiert und respektieren die Räumlichkeiten nicht angemessen. Für die Aktivist*innen, die langfristig im ROG arbeiten stellt sich hier die Frage, wie auf der einen Seite eine Offenheit des Ortes aufrecht erhalten werden kann und auf der anderen Seite die interne Struktur arbeitsfähig bleibt. Auch uns als Kritische Mediziner*innen stellt sich die Frage, wie wir uns in diesem Raum adäquat bewegen können. Wie viel Arbeit und Aufwand es für Dritte ist unseren Aufenthalt zu ermöglichen, lässt sich oft erst im Nachhinein erkennen. So ist die Bewohnerin des Nachbarraumes irgendwann ein bisschen davon genervt, dass so viele Leute die gemeinsame Toilette nutzen. Dennoch fühlen wir uns sehr willkommen und in Gesprächen mit Aktivist*innen wird des öfteren betont, dass sie es für das Weiterbestehen des ROG besonders wichtig empfinden politische Gruppen zu Besuch zu haben.
Ein weiterer Punkt der uns beschäftigt ist die Frage, wer und mit welcher Legitimation eigentlich die Entscheidungen in der Selbstverwaltung des ROG trifft. So haben sich die Aktivist*innen beispielsweise entschieden, eines der Nebengebäude mit einer großen Küche an eine Gruppe Geflüchteter zu übergeben, die sich nun hauptsächlich um die Instandhaltung und Gestaltung dieses Teils des ROG kümmern. Die Entscheidung, diesen Raum also explizit in die Kontrolle einer bestimmten Gruppe zu übergeben und nicht einfach offen zu halten für alle, die gerade mal Interesse haben, war begleitet von der Bemühung innerhalb dieser Gruppe eine Selbstorganisation zu initiieren. Diese Initiative führte zu einer nun kontinuierlich arbeitenden Community, die sich darum kümmert die Küche in einem Zustand zu halten, der es auch anderen Menschen möglich macht diesen Raum zu nutzen. In Anbetracht der eigenen Erfahrung über die Schwierigkeiten und Herausforderungen bei der Entwicklung einer solidarisch funktionierenden Gruppe, beeindruckt uns diese Entwicklung besonders.
Was uns als Erfolgsgeschichte erscheint, hat aus der Perspektive von Rasko allerdings auch seine Probleme. Die Einbindung der Nachbarschaft in das Projekt ist eher schwierig, da es vor allem Konflikte um Lautstärke, aber auch um Wertminderung der eigenen Immobilien durch einen Squat in der Nachbarschaft gibt. Das nutzen dann Rechte, die behaupten, ein paar Linke würden sich nur ihren eigenen Raum besetzen und in einer Form „privatisieren“. Und auch innerhalb der Gruppen, die im ROG aktiv sind, gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber wie viel und welche Struktur es für die Organisation geben muss.
Etwas über die Schwierigkeiten im ROG zu erfahren war für uns ebenso wichtig, wie die herzliche Stimmung dort zu erleben. Wir freuen uns sehr, im ROG einen offenen und kulturellen Ort zu finden und hoffen, dass dieser weiterhin bestehen bleibt. Denn hier haben wir erlebt, wie Leute selbstständig Verantwortung übernehmen und durch Zusammenarbeit und Vertrauen wunderbare Dinge auf die Beine stellen.